Beständigkeit

Von Herr Maier

Wenn man über Beständigkeit nachdenkt muß man zwangsläufig auch über Forschritt nachdenken. Für die Wirtschaft ist Fortschritt gut, denn Sie eröffnet neue Absatzmärkte und verspricht neuen Aufschwung. Für den Menschen bedeutet er aber etwas Neues erlernen zu müssen und gleichzeitig etwas Althergebrachtes zu vergessen. Also auf der einen Seite steht Anstrengung in Form von Lernen – wir sprechen heute schon vom „lebenslangen Lernen“ und meinen es positiv – und auf der anderen Seite steht der Verlust von etwas Überlieferten und evtl. auch Liebgewonnenen. Beides geht einher. In dem Maße in dem man sich mit Fortschritt und neuer Technologie beschäftig fehlt einem die Zeit sich mit familiären oder kulturellen Überlieferungen zu beschäftigen. Wer weiß heute noch, wie man Sauerkraut selbst herstellt oder Fleisch für den Winter konserviert? Praktische Dinge eben, die einem auch helfen, wenn mal der Strom ausfällt.

Ich weiß nicht, wieviel Rechtschreibreformen es seit meiner Schulzeit gegeben hat, muss ich die alle mitmachen? Jede Veränderung mag nötig sein, sollte aber doppelt und dreifach hinterfragt werden, da eine Veränderung immer auch ein Stück Kulturverlust darstellt. Mit einer heutigen chinesischen Schulbildung können Sie noch chinesische Texte von vor 2000 Jahren verstehen.  2000 Jahre alte germanische Texte lesen? Kennt die überhaupt jemand? Der Mensch ist froh, wenn er sich zurecht findet und als Erwachsener mit seinem Wissen im Leben sein Auskommen hat. Dann bleibt nämlich noch Platz für das Wesentliche im Leben: Familie, Freunde, Muße oder einfach Müßiggang und Erholung. Der Erwachsene Mensch hätte durch Beständigkeit die Möglichkeit abzuschalten und Dinge nach eigenem Belieben zu machen. Fortschritt, „Lebenslanges Lernen“ und die Konfrontation mit ständig neuen Entwicklungen und auch politischen Veränderungen geben den Menschen keine Beständigkeit, keinen Halt und keine Sicherheit, sondern erzeugen fortwährenden Stress. Er kann nicht mehr selbst entscheiden, worin liegen meine Vorlieben und was möchte ich in meiner Freizeit gerne tun. Nicht ohne Grund gibt es so viele Burn-Out-Fälle und psychische Erkrankungen wie noch nie.

Fortschritt darf nicht zu einem gesellschaftlichen Zwang werden. Er muss langsamer im Sinne der Beständigkeit zu gesellschaftlichen Normen werden. „Ja, ich habe kein Handy“, muß man auch heute noch sagen dürfen, ohne als Außenseiter und chancenlos in einer Nebengesellschaft zu leben. Aber wer traut sich dies bei einem Einstellungsgespräch heute noch zu sagen. Wenn der Staat fordert, dass alle Bürger ihre Einkommenssteuer elektronisch per Software übermitteln müssen, vergisst er die, die mit diesem Medium nicht groß geworden sind und macht sie zu Außenseitern.