Lebendigkeit
Das Gegenteil von Lebendigkeit ist Tod. Daher wird wohl jeder damit einverstanden sein, dass Lebendigkeit ein wichtiger Faktor für ein glückliches Leben ist.
Im Jahre 1905 schrieb Max Weber bereits von der „Mechanisierten Versteinerung“, die unserem Zeitalter drohe mit der Aussicht auf „Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben“[ref]https://books.google.de/books?id=JDAfRJeiJ_0C&pg=PA245&lpg=PA245&dq=Mechanisierten+Versteinerung+max+weber&source=bl&ots=6SI3Uv0RsJ&sig=SKpYsB4-H3n6IDMFqcEBlCgeW7w&hl=de&sa=X&ei=jhA2VaOOBZDiauShgOAK&ved=0CCkQ6AEwAg#v=onepage&q=Mechanisierten%20Versteinerung%20max%20weber&f=false[/ref].
Bewegung ist Leben, aber in der Tat sind die Menschen unbeweglicher, versteinerter geworden. Eine Dienstleistungsgesellschaft, wie die unsere, bannt das Volk immer mehr an die Schreibtische. Aber vor allem geht es darum nicht die Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und das Mitgefühl im digitalen Zeitalter zu verlieren. Sei es durch Zeitmangel oder durch digitale Distanz. Dem beschleunigten Fortschritt muss sich beinahe jeder unterwerfen, ob er will oder nicht. Ein Beispiel: Haben Sie Kinder, können sie dem Kind in unserer heutigen Gesellschaft das Smartphone ab einem bestimmten Zeitpunkt, ob sinnvoll oder nicht, nicht mehr verwehren, da es alle haben. Außenseiter will man als Jugendlicher nicht sein. Das Smartphone ist Unterhaltungs- und Kommunikationszentrale und als solche bindet es viel Zeit. Wichtige oder unwichtige Zeit sei mal dahingestellt, aber Zeit, die im Nachhinein nicht als besonders lebendig wahrgenommen wurde. Ich würde sagen, nahezu alle Jungendliche verbringen mehr Zeit damit, sich in den sozialen Netzwerken um sich und die Optimierung ihres eigenen Profils zu bemühen, als sich um die Bedürfnisse anderer zu kümmern. Möchte man also über Lebendigkeit sprechen muss man auch vom Markt geformte Bedürfnisse hinterfragen.
Lebendigkeit bedarf einer Beziehungsform zu der Außenwelt. Diese Beziehung kann u.a. in Personen, der Natur oder auch in Sachgegenständen, z.B. Büchern, gefunden werden. Nur muss „das Andere da draußen mit mir so in Beziehung treten, dass ich durch diese Beziehung selbst verändert werde […] Lebendigkeit ist deshalb Anverwandlung von Welt, nicht bloß Aneignung von Stoff“, so der Soziologe Hartmut Rosa.[ref]http://www.zeit.de/2015/14/lebendigkeit-beziehung-soziologie-kunst-tod[/ref] Lebendigsein bedeutet, über vibrierende Resonanzdrähte verbunden zu sein, in einem Antwortverhältnis zum Leben zu stehen, so Rosa weiter.
Lebendigkeit lässt sich nicht planen, sie erwächst aus den Schwingungen die uns in der Interaktion mit der Außenwelt treffen. Erfahrungen. Wer vernunftgetrieben lebt, lebt nicht lebendig, da die Reaktionen auf sein Leben vorhersehbar sind. Die Resonanzdrähte schwingen nicht. Lebendigkeit bedeutet sich überraschen zu lassen und offen der Welt entgegenzutreten, Neues zu erforschen, sich treiben zu lassen und dabei Fehler machen zu dürfen.
Eine Gesellschaft, die unablässigen Fortschritt und Verbesserung, also Wachstum fordert, lässt wenig Raum für Lebendigkeit. Eine Politik, die aus Vernunftgründen Wirtschaftswachstum fordert, bringt den Menschen mechanisierte Versteinerung und Depression. Aufgabe eines Staates, der ernsthaft glückliche Bürger zum Ziel hat, ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die Lebendigkeit im öffentlichen Leben überhaupt zuzulassen. Hierfür muss z.B. über Entschleunigung, ein Grundeinkommen, mehr Freizeit und über Freiheit und Partizipation nachgedacht werden.