Die guten Sitten

Von Herr Maier

Als Maßstab der guten Sitten zieht die Rechtssprechung das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ heran. So wie die Werte vom Markt verändert werden, werden aber auch die guten Sitten vom Markt definiert. Sitten sind augenblicklich dann gut, wenn sie dem Markt helfen zu wachsen.

Meine Bank schrieb mir im Frühjahr 2016: Der Zinssatz für Sollzinsen liegt fortan bei 11,750% und für eine geduldete Überziehung bei 15,750%. Im Mai 2020 schrieb mir die gleiche Bank, dass der Sollzins bei 11,400% und für geduldete Kontoüberziehungen bei 15,400% liegt. In der Zwischenzeit haben sich die Habenzinsen teilweise ins negative gekehrt. Unser Bürgermeister erzählte mir, er müsse für öffentliche Gelder auf der Bank Minuszinsen zahlen und es gibt aktuell Banken, die für neue Privateinlagen ebenfalls schon Minuszinsen berechnen. Wie kann es sein, dass sich an den Kreditzinsen kaum etwas ändert? Wie kann man über 15% Differenz zwischen Haben und Sollzinsen rechtfertigen? Persönlich würde ich hier von Wucher sprechen, da die Bank selbst das Geld für 0% leihen darf. Das kann nicht im Rahmen der guten Sitten liegen und unterliegt bestimmt nicht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden.

Verantwortlich für den Verfall der guten Sitten sind der Gesetzgeber und die Gesetzesvertreter – aber niemand in der Justiz oder der Politik unternimmt oder sagt etwas – so scheint es. Wenn aber niemand zuständig ist für den Verfall von Anstand und Moral, dann benötigen wir eine neue Instanz in unserem Staat, die die Einhaltung der guten Sitten sicherstellt. Eine moralische, wertebasierte Instanz.

Generell muss zukünftig mit Erstarken der historischen Werte auch das Anstandsgefühl wieder etwas gelten. Ohne Anstand wird ein glückliches Leben in unserer Gesellschaft nicht zu realisieren sein. Hierbei müssen die reichen und politischen Vorbilder eine Vorreiterrolle übernehmen. Es ist nicht möglich, dass ein Politiker seinem Wahlauftrag gerecht wird, wenn er noch gleichzeitig in fünf Aufsichtsräten sitzt oder regelmäßig Schulungen und Beratungen honoriert bekommt. Ein Ex-Kanzler Schröder darf nicht für die Werte der freien Welt plädieren um sich anschließend von einem totalitären Despoten für seine Arbeit bezahlen zu lassen. Auch nicht, wenn der Kanzler sich aus dem politischen Geschehen zurückzieht.