Die Ehrfurcht

Von Herr Maier

Der Ehrfurcht wohnt ein Ideal eine Wahrheit inne, welches unser eigenes Streben übersteigt. Daher hat Ehrfurcht auch einen angeboren ethischen Charakter. Sie bedingt Respekt, Mitgefühl, Achtsamkeit, Güte, Demut, Toleranz oder auch Vorsicht. Diese ethischen Werte sind allen Menschen angeboren und in jeder Gesellschaft beheimatet. Albert Schweitzer nannte dies „Ehrfurcht vor dem Leben“.

Um diese universelle Verantwortung zu präzisieren, sollten wir Ehrfurcht nicht nur vor dem Leben, sondern vor der Natur selbst haben, ohne die es keine Existenz gäbe und die Grundlage unseres Lebens bildet. Täglich rottet der Mensch 100 Tier- und Pflanzenarten aus.

Ehrfurcht auch vor den universellen Werten, die ein gutes Zusammenleben ermöglichen. Dann Ehrfurcht vor der Geschichte, die uns lehrend zur Seite steht und natürlich auch die Spiritualität des Menschen, die in unserer hochentwickelten Zivilisation nicht mehr gesellschaftsfähig scheint und neuen Religionen gewichen ist – dem Kapitalismus etwa in Form des Glaubens an die Heilsbringung des Wirtschaftswachstums oder dem Neoliberalismus, dem Grenzen durch die guten Sitten, sprich durch Anstand, Respekt, Mitgefühl etc. gesetzt werden müssen.

Die Philosophin Susan Neiman schreibt: Wir leben in einem Augenblick, „in dem der Neoliberalismus selbst religiöse Züge annimmt und uns weismachen will, wir lebten in der besten aller möglichen Welten und zu dieser gäbe es keine Alternative. […] Eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, Kindern das Gefühl zu geben, das erwachsene Leben habe einen Sinn, der über die Anhäufung von Konsumgütern hinausgeht, wird scheitern.“[ref]Die Zeit Nr.25,  „Was ist das gute Leben“, S. 20, Juni 2013[/ref]

Ich möchte hier klarstellen, dass die Ehrfurcht nicht zu einem Erstarken der Religion führen darf. Im Staatsgefüge darf kein Platz für Religion sein. Der Staat ist neutral. Denn Religion führt zu Leidenschaft, Leidenschaft führt zu Unbeständigkeit und Unbeständigkeit führt nicht zum Guten Leben und letztendlich zur Instabilität. Religionen sind intolerant, da sie nur sich selbst als Wahrheit zulassen. Alle Religionen bergen ein Gewaltpotential in sich. Bis heute werden seit Jahrtausenden Kriege im Namen der Religion gefochten.

Der Dalai Lama, selbst ein Religionsführer, sagt über Religion: „Wir kommen nicht als Mitglied einer Religion auf die Welt. Aber Ethik ist uns angeboren.“ Somit ist Religion anerzogen und Kind unseres Lebensumfeldes. Statt Religion sollten Kinder Moral und Ethik lernen. Denn, so die Worte des Religionsführers: „Ethik ist wichtiger als Religion.“

Ehrfurcht kann uns Halt geben und helfen die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wer ehrfürchtig ist, vermeidet Fehler zu machen und bedenkt Veränderungen und Fortschritt zuvor mehrfach. Fortschritt zu entschleunigen ist aber kein Fehler, sondern eine Chance für den Erhalt der Menschlichkeit. Entschleunigung dient der Beständigkeit und dem Wohl des Volkes.