Wirtschaftswachstum als unumstößliches Dogma

Von Herr Maier

In der Politik spricht man wesentlich häufiger vom Wirtschaftswachstum als vom Wohl des Volkes. Man fragt sich auch immer, was ist gut für die Wirtschaft. Stattdessen müsste man doch eigentlich fragen: Wie kann die Wirtschaft uns allen nutzen? Man bekommt den Eindruck unser Wohl hängt ausschließlich von unserer Wirtschaftskraft und von der Schaffung von Arbeitsplätzen durch Wirtschaftswachstum ab. Deutschland ist eine starke Wirtschaftsnation, die Masse ist jedoch in einem steigenden Maße auf einem hohen Wohlstandsniveau unzufrieden. Deutsche Unternehmen verdienen viel Geld, seit Gründung der BRD ist das Bruttosozialprodukt stetig gestiegen. Es wurde also immer mehr Geld verdient. Dummerweise kommt das Geld aber nicht in gerechter Weise bei der arbeitenden Bevölkerung an. Warum sonst gibt es Löhne, von denen man nicht leben kann und eine zerbröselnde Mittelschicht, die Angst vor dem gesellschaftlichen Absturz hat?

Die Anfänge der sozialen Marktwirtschaft brachten Werte und Tugenden in die Gesellschaft, mit denen man sich identifizieren konnte und wohinter das ganze Volk einheitlich stand. Fleiß, Rechtschaffenheit und Genügsamkeit für den kleinen Mann korrespondierte mit Begrifflichkeiten wie “soziale Verantwortung”, „Leistung zahlt sich aus“ und „Geld verpflichtet“ für die Unternehmer und die Reichen. Diese Einheit führte zur Identifikation mit seinem Unternehmen und zudem zum deutschen Wirtschaftswunder und in der Politik zu der Überzeugung in der sozialen Marktwirtschaft das perfekte System zur Staatsfinanzierung gefunden zu haben. In den folgenden Jahrzehnten verlor die soziale Marktwirtschaft jedoch nach und nach den sozialen Gesichtspunkt und Wirtschaftswachstum etablierte sich als primäre Zielvorgabe und verheißungsvollstes Mittel zur Verwirklichung der Vollbeschäftigung.

Der Drang der etablierten Parteien nach stetigem Wirtschaftswachstum führte aber im Laufe der Jahre zu gierigen Märkten und führte schlussendlich zu kollabierenden Banken, das dem Volk viel Geld gekostet hat. Der Kapitalismus hielt Einzug in unsere Gesellschaft durch freie Märkte und wirtschaftliche Abhängigkeiten der Politik. Er hat es geschafft Grundwerte und Regeln der sozialen Marktwirtschaft auszuhebeln und zu verändern. Hieß es früher wenn ein Unternehmen insolvent ist, dass dies das „unternehmerische Risiko“ ist, ist heute von Systemrelevanz und der Rettung von Arbeitsplätzen die Rede. Das „unternehmerische Risiko“ tragen heute nur die kleinen und mittelständigen Unternehmen – das “Rückgrad unserer Gesellschaft“, sobald ein Unternehmen groß genug ist um systemrelevant zu sein, herrscht Narrenfreiheit. Die Eigentümer werden bei Insolvenzgefahr vom Steuerzahler vor dem Bankrott gerettet. Gerechtigkeit sieht anders aus.

Anhänger der freien Marktwirtschaft werfen gerne, sobald die freie Marktwirtschaft in Frage gestellt wird, der Planwirtschaft das Scheitern vor. Marktwirtschaftliche Unternehmen planen doch heute auch Ihren Absatz? Oder produzieren die Unternehmen einfach aufs gerate Wohl? Gemäß einer Reportage aus der Onlineredaktion der Welt, werfen wir Deutschen im Jahr 346 Millionen Kilogramm Fleisch auf den Müll? Dafür mussten umgerechnet 45 Millionen Hühner, vier Millionen Schweine und 200.000 Rinder sterben. Wenn das, dass Ergebnis einer freien Wirtschaft ist, dann ist diese Überflusswirtschaft aus moralischer Sicht eher gescheitert als eine Mangelwirtschaft der ehemaligen DDR.  

Staaten wie der, der Inka, der über mehrere Jahrhunderte Bestand hatte, hatte eine erfolgreiche Planwirtschaft. Nahrungsmittel und Kleidung wurden für das Volk geplant und gelagert, so dass man für eine Dürrephase von 10 Jahren ein Auskommen für das ganze Volk gewährleisten konnte. Nur um es klarzustellen, es muss keine Planwirtschaft in Deutschland geben, aber die politischen Geister müssen sich für neue Wege öffnen, der uneingeschränkte Kapitalismus mit einem Freien Markt ist keine Alternative für die Zukunft des Menschen und unserer Lebensgrundlage.

Wir gehen mit unseren Ressourcen und auch mit dem Leben an sich nicht respektvoll um wenn für den respektvollen Umgang eine gewisse Planung oder Reglementierung dazu gehört, dann sollte sie auch sein. Die Wirtschaft schafft es nicht sich selbst zu reglementieren. Dazu gehört z.B. auch, dass wir wieder Dinge produzieren, die über die Garantiezeit hinaus noch lange halten, wie es früher ebenfalls möglich war.

Jeder würde wohl zustimmen, dass unkontrolliertes fortwährendes Wachstum auf Dauer nicht funktionieren kann, egal welches geschlossene System wir auch betrachten. Denn sämtliche Betrachtungsräume sind endlich. Selbst ein Krebsgeschwür findet sein Wachstumsende in der Zerstörung seines Wirts. Ist der Mensch nicht schlauer als der Krebs und kann die Zerstörung seines Wirts, der Natur, noch verhindern? Zudem sind die Ressourcen mit denen der Mensch so verschwenderisch umgeht nahezu erschöpft und die Natur fängt an unser Handeln in beängstigender Weise zu quittieren. Daher wäre es doch wirklichkeitsnäher und von größerer sozialer Verantwortung getragen, wenn wir neue Wege und Möglichkeiten, die uns irdische Grenzen auferlegen, untersuchen und bedenken würden, statt alle Gedanken aus dieser Richtung wie bisher zu ignorieren.

Wachstum als Prämisse für unser wirtschaftliches Handeln zur Maxime zu erheben bedeutet eine Verschiebung unseres eigentlichen Wertesystems, denn folgende Dinge bleiben dabei nicht berücksichtigt, die aber für das Wohl der Menschen entscheidet sind:

  1. Einschränkungen und Reduzierung der Produktion. Um ein Beispiel zu geben; Es kann nicht pro volljährigem Familienmitglied ein Auto in der Einfahrt stehen, der öffentliche Verkehr muss mit einer starken Preisreduzierung ausgebaut und attraktiver werden.
  2. Weniger Energieverbrauch. Hier kann jeder für sich etwas tun, aber auch in der Industrie muss über Stromeinsparungen nachgedacht werden. Hier könnte man z.B. wieder Produkte erzeugen, die notfalls auch ohne Energie funktionieren. Früher benötigten Alltagsgegenstände wie Handquirl, Rührfix oder Flotte Lotte, Saftpresse, Reibe, Wecker, Telefon, Nähmaschine und vieles mehr keinen Strom und dennoch haben sie funktioniert. 
  3. Die Nutzungsdauer materieller Güter muss verlängert werden. Ein Auto darf nach 8 Jahren noch nicht alt sein. Geräte müssen ihre Garantiezeit um das Vielfache überdauern und zu günstigen Preise auch reparierbar bleiben. Reparaturen und nicht der Neukauf muss wieder die Normalität werden. Im Moment tun wir so, als wenn alles nichts kostet. Berufe, wie Schuster oder Nähereien gibt es bald nicht mehr, weil nichts mehr repariert wird. Wer kennt noch die schönen alten Flicken? Was würde es mich freuen, mal einen Politiker mit geflicktem Jackett zu sehen. Nur so werden wir schonend und respektvoll mit unserer Natur umgehen. Langlebigkeit nicht Konsum muss wieder zu einem industriellen Wert werden.
  4. Auch wenn man es nicht gerne sagt, aber wir sind zu viele Menschen auf dem Planeten. Wasser und Nahrung für alle ist ein großes Problem und von daher sollte man den Menschen auch irgendwann man ehrlich sagen: Setzt weniger Kinder in die Welt. Dieser Gedanke sollte sich in dem Bewusstsein aller Menschen verfestigen, so dass wir Bevölkerungszahlen auf freiwilliger Basis reduzieren können. Es gelten ansonsten die gleichen Risiken wie beim unkontrollierten Wachstum. Dies bedeutet zunächst keine Geburtenkontrolle, obwohl der Gedanke seine Berechtigung hätte.
  5. Negative und unangenehme Symptome werden aus den Köpfen beseitigt. Von billiger Arbeit im Ausland, auch gesundheitsschädlicher Arbeit oder Kinderarbeit möchte niemand reden, obwohl ein Grossteil unserer Produkte in Billiglohnländern produziert wird. Verboten werden diese Produkte aber nicht. Zudem machen wir Märkte im Ausland kaputt. Ein bekanntes Beispiel: Wenn wir Hühnerflügel nach Afrika liefern ist das dort immernoch billiger als ein Huhn von einem afrikanischen Bauer. Der Bauer hat somit kein Geschäft mehr. Kriege aus wirtschaftlichem Interesse. Der Irak wurde vordergründig wegen eines grausamen Diktators mit Massenvernichtungswaffen angegriffen. Die Waffen gab es dann aber nicht. Warum hat in der freien Welt niemand energisch und öffentlich dagegen protestiert? Wenn es keine materiellen Interessen gab und alles aus rein moralischen Aspekten geschah, dann müsste man auch Länder wie China oder Nordkorea angreifen. Das geschieht aber nicht. Weiterhin werden Signale der Verknappung überdeckt. Heißt es das Öl sei bald erschöpft, dann findet man neue Vorkommen und neue Wege Öl zu generieren. Die Risiken für neue Technologien, wie z.B. Fraking, werden der Bevölkerung verschwiegen. Da müssen erst Umweltorganisationen auf eine Gefahr aufmerksam machen, die eigentlich von unseren Politikern hätte kommuniziert werden müssen.

Fortschritt und Innovation muss im Einklang mit unserem Wertesystem stehen. Dafür muss das Wertesystem neu und für alle klar formuliert werden. Nur dies bedeutet einen weisen Fortschritt.